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Gera: Smart-City, Hochschulstadt, Fast-Kulturhauptstadt und Konzept-Champion

Oh wie jauchzten doch alle einheimischen Nerds, als zu Jahresbeginn mit der Verkündung, dass Gera nun „Smart City“ sei, das Zeitalter der digitalen Revolution in Ostthüringen eingeläutet werden sollte. Was hat sich nun seitdem getan? Nun waren ja die Computerarbeitsplätze eher durch andere Viren als durch Corona gefährdet, dennoch sind die Monate verstrichen, ohne dass eine merkliche Verbesserung im Hinblick auf schnelles Internet, Netzabdeckung oder gar Vernetzung zu registrieren war. Dabei wäre doch gerade das staatlich verordnete „Homeschooling“ ein probates Feld für digitalen Aufschwung gewesen. Doch Fehlanzeige! Von wenigen Ausnahmen abgesehen gab es keinerlei digitale Hilfe für die zu Hause eingesperrten Schüler, und auf der Stadtseite gelingt es mir noch immer nicht, nach acht Wochen ein bestimmtes Formular herunter zu laden (übrigens blieb meine Kontaktmail vom Mai bis dato unbeantwortet). Und mein DAB-Radio-Empfang bricht in meiner Wohnung immer noch binnen kurzer Zeit zusammen.

Doch halt! Es ist vollbracht – Gera ist (endlich) bei Facebook! Oma Müller in Alt-Bieblach und Opa Schulz in Collis werden sicherlich vor Freude Luftsprünge gemacht haben, als sie die frohe Botschaft erreichte. Schließlich repräsentieren sie den Altersdurchschnitt unserer schönen Stadt. Aber vielleicht sind sie, wie ich auch, gar nicht bei dem amerikanischen „social media“, von dem nicht wenige sagen, dass es teilweise kriminelle Züge trägt, auch was Datenschutz angeht. Das wäre natürlich Pech, denn solche weltbewegenden Artikel wie zum Corona-Malwettbewerb oder zur neuen Geraer Münze blieben ihnen weitestgehend verschlossen, ganz zu schweigen von den zu erwartenden unzähligen Kommentaren irgendwelcher „follower“, die zumeist von zweifelhafter Qualität gekennzeichnet sind.

Offenbar wollten die Verantwortlichen damit zeigen, wie modern doch unsere „Smart City“ daherkommt. Da können wir nicht allzu kritisch ob des eher langweiligen Layouts und der noch langweiligeren Themen auf „facebook Gera“ sein. Immerhin haben schon fast 3.000 Fans die Seite abonniert, was 3% der Stadtbevölkerung ausmacht (Stand 9.9.20). Wie viele Studenten (Verzeihung: Studierende) darunter sind, ist leider nicht zu erfahren. In der selbsternannten „Hochschulstadt“ sind ja auf Schritt und Tritt unsere akademischen Jünger anzutreffen. Sie bestimmen nicht nur das Stadtbild, nein, auch das überbordende Studentenleben hierzulande ist mittlerweile weit über die Grenzen Lusans und Zwötzens hinaus bekannt, wenngleich es offenbar mehr im Geheimen stattfindet.

Wir bleiben aber dennoch optimistisch! Aus gut informierten Kreisen ist zu erfahren, dass es einen neuen Anlauf in Richtung Marketingkonzept gibt, die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch – es gab gefühlt bereits ein Dutzend gleichgeartete Anläufe. Denen war eins gemeinsam – alle verliefen im Sande. Aber dieses Mal sind ja unsere Stadträte mit federführend – da wird es gewaltig vorwärts gehen. Schließlich haben sie ja aus der Kampagne zur Kulturhauptstadt gelernt, wie man sich öffentlichkeitswirksam zum Gespött macht.

Apropos Konzepte. Der zu Jahresbeginn von der neuen Kulturamtschefin angekündigte „Kulturentwicklungsplan“ ist nach über einem halben Jahr immer noch nicht fertig. Sicher haben die massenhaft stattgefundenen Kulturveranstaltungen im „Corona“-Jahr zu einer vollständigen Auslastung aller Mitarbeiter im Kulturamt geführt. Da blieb einfach keine Zeit. Aber wie mir versichert wurde, werde bald die „Wismutkunst“ in den Gängen und Zimmern des KuKs präsentiert -so irgendwie zumindest. Man hat zwar noch keinerlei verbindliche Zusage, aber egal – Hauptsache ein Konzept.

Nun, angesichts solcher und anderer rosigen Aussichten, ja sogar die amerikanische Heuschrecke namens amazon, bekannt für hervorragende Arbeitsbedingungen und weit übertarifliche Entlohnung, will nun endlich nach Gera kommen, können wir in „Smart City“ optimistisch in die Zukunft schauen. Zwar sind Tiefbau- und Bauordnungsamt seit Wochen nicht in der Lage, das Baustellenchaos in Alt-Untermhaus zu koordinieren, aber dafür gibt es bald neue Straßenbahnen, die mit regelmäßigen Leerfahrten auch irgendwann die Langenberger*innen beglücken werden.

Und so will ich mit den Worten des großen deutschen Staatsmannes Erich H. schließen, dessen weltanschauliche Weitsicht immer mehr politische Verantwortungsträger als Vorbild ansehen::

„Vorwärts immer – rückwärts nimmer!“